Geschäftsführerhaftung

Rechtssprechungsänderung des 2. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes zu § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Jörg Fröhling/Erwitte

I.  Einleitung

§ 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz richtet sich ausschließlich an GmbH Geschäftsführer unter vom Gesetz her grundsätzlich zunächst recht einfachen Voraussetzungen.

Man kann mit Recht sagen, dass § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz ein scharfes Schwert für die Geschäftsführer einer GmbH darstellt.

II. Die Rechtslage

Nach § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet werden.

Voraussetzung für eine Haftung sind dementsprechend nur folgende Voraussetzungen:

  1. Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung
  2. Zahlung.

Berücksichtigt man dann andererseits § 17 InsO, wonach Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn ein Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen in Verbindung mit der Rechtsprechung des 9. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes, wonach Zahlungsunfähigkeit bereits vorliegt, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sämtliche fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen, so kann man leicht nachvollziehen, dass sich ein Geschäftsführer bei dieser Norm sehr schnell in der Haftung befindet.

Wenn man es einfach ausdrückt, liegt Zahlungsunfähigkeit bereits vor, wenn z. B. 10,00 € fälligen Verbindlichkeiten nur 9,00 € flüssige Zahlungsmittel gegenüber stehen.

Es kommt nach der Rechtsprechung des 9. Zivilsenates unter anderem nicht darauf an, ob noch beträchtliche Zahlungen geleistet werden können, ob beträchtliche Zahlungen geleistet wurden, sondern letztlich nur darauf, ob sämtliche fälligen Verbindlichkeiten beglichen werden können.

Allenfalls eine 10 %ige Unterdeckung wird vom 9. Zivilsenat unter bestimmten Bedingungen toleriert.

III. Praktische Auswirkungen

Ein Geschäftsführer, der diese Zeilen ließt, wird sich allerdings eventuell sagen, dass dann, wenn er Alleingesellschafter ist oder er maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt ist, oder die Gesellschaft Zahlungen ausdrücklich gebilligt hat, es doch eher unwahrscheinlich ist, dass er von der Gesellschaft später aus § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz in Anspruch genommen wird.

Dies ist auch durchaus richtig.

Zur wirklichen Haftungsfalle wird § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz, wenn über das Vermögen der GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Sodann kann der Insolvenzverwalter gemäß § 92 InsO den der Gesellschaft entstandenen Gesamtschaden, der durch die Zahlungen des Geschäftsführers für die Gläubigergesamtheit entstanden ist, geltend machen.

Da kommt es dann eben nicht darauf an, ob der Geschäftsführer Alleingesellschafter war oder maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt war oder die Gesellschaft unabhängig davon die Zahlungen gebilligt hat.

IV. Entlastungsbeweis

Entschuldigen kann sich der Geschäftsführer ausgehend vom Gesetz gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbH-Gesetz nur dann, wenn es sich um Zahlungen handelte, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind.

Nun wird sich wiederum ein Geschäftsführer sagen, dass seine Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Betriebes gedient hätten, doch immer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar seien.

Damit wird der Geschäftsführer keinen Erfolg haben.

Der Bundesgerichtshof hat in der Leitentscheidung der letzten Jahre zu § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz in

ZIP 2001, Seite 235,
NJW 2001, Seite 1280,

definiert, was unter der Sorgfalt eines ordentliche Geschäftsmannes in der Insolvenzsituation zu verstehen ist.

Der hierfür anzulegende Maßstab bestimmt sich nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofes nicht allein nach den allgemeinen Verhaltenspflichten eines Geschäftsführers, der bei seiner Amtsführung Recht und Gesetz zu wahren habe.

Der Maßstab sei vielmehr an dem besonderen Zweck des § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz auszurichten, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern.

Für einen Geschäftsführer ist es damit nicht getan, die einzelnen Zahlungen damit zu begründen, dass diese zur Weiterführung des Geschäftsbetriebes notwendig gewesen seien. Diese Pflicht trifft grundsätzlich jeden Geschäftsführer unabhängig davon, ob die Insolvenzsituation eingetreten ist oder nicht.

Die Verhaltenspflichten für einen Geschäftsführer in der Insolvenzsituation sind jedoch enger. Es kann hier zwar kein Anspruch auf Vollständigkeit gegeben werden.

Im Wesentlichen fallen darunter aber nur Zahlungen, die den sofortigen Zusammenbruch des Unternehmens verhindern sollen.

Genannt werden können hier z. B. Telefonkosten, Kosten für die Reparatur des Betriebsgebäudes, um größeren Schaden zu verhindern, Heizöl (Verhinderung eines Frostschadens) und natürlich Stromkosten.

Sämtliche anderen Zahlungen, die nicht mit der zuvor definierten Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in der Insolvenz vereinbar sind, hat der Geschäftsführer an den Insolvenzverwalter zu erstatten, der diese Beträge zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger verwendet.

V. Sozialversicherungsbeiträge

Höchst problematisch wurde die Situation für den Geschäftsführer dann, wenn er vor der Entscheidung stand, die Arbeitnehmeranteile bezüglich der Sozialversicherung (Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen) an die Krankenkassen abzuführen.

Grundsätzlich handelte es sich nach der bisherigen Rechtsprechung des 2. Zivilsenates (zuständig für das Gesellschaftsrecht) bei den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und auch bei den Löhnen allgemein nicht um Zahlungen, die in der Insolvenzsituation mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar waren.

Der Geschäftsführer musste auch diese Zahlungen zurückhalten, damit diese Beträge zur gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger und nicht nur den Sozialkassen und den Arbeitnehmern zur Verfügung standen.

Hier konnte der Geschäftsführer bisher vielleicht noch den ein oder anderen Lohn an den ein oder anderen Arbeitnehmer rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer z. B. erforderlich war, eine bestimmte gebäudeerhaltende Reparatur vorzunehmen.

Der Grundsatz aber war, dass der Geschäftsführer diese Zahlungen ebenfalls zu erstatten hatte.

Nun ist aber andererseits wohl jedem Geschäftsführer bewusst, dass dann, wenn er die Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungen nicht abführt, er sich nach § 266 a Abs. 1 StGB strafbar macht.

Der Geschäftsführer stand nach der bisherigen Rechtsprechung des 2. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes vor einem echten Dilemma.

Der 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes begründet eine Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz des Geschäftsführers persönlich und der 5. Strafsenat (vgl. hierzu BGH, NJW 2005, Seite 3 650) hielt eine Strafbarkeit auch dann für gegeben, wenn sich der Geschäftsführer nach dem Normbefehl des zuvor zitierten § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz ausgerichtet hatte.

Zahlte er nicht, machte er sich strafbar. Zahlte er, war er in der persönlichen Haftung.

Hierfür gab es fü den Geschäftsführer bisher eigentlich nur eine Lösung. Er zahlte an die Sozialversicherungsträger und machte diesen gleichzeitig die Mitteilung, dass er zahlungsunfähig ist.

In diesem Falle konnte der Geschäftsführer darauf hoffen, dass der Insolvenzverwalter die geleisteten Zahlungen von der Krankenkasse im Wege der Insolvenzanfechtung zurückfordert und damit eine Haftung des Geschäftsführers zusätzlich nicht mehr in Betracht kommt.

Sicher konnte der Geschäftsführer hier aber auch nicht sein. Der Insolvenzverwalter war keineswegs verpflichtet, primär im Wege der Insolvenzanfechtung die Sozialkassen in Anspruch nehmen. Er konnte auch, wenn z. B. die Ansprüche aus Insolvenzanfechtung verjährt waren, den Geschäftsführer primär in Anspruch nehmen.

VI. Rechtssprechungsänderung

Das oben genannte Dilemma hat der 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit Urteil vom 14.05.2007 in NJW 2007, Seite 2119 nun dahingehend gelöst, dass er Zahlungen des Geschäftsführers an die Sozialkassen im Rahmen von § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz für privilegiert ansieht.

Der Geschäftsführer kann mithin bei Zahlungen von Arbeitnehmeranteilen an die Sozialversicherungen nicht mehr persönlich in die Haftung genommen werden.

Vom zeitlichen Ablauf her kam diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs doch eher etwas überraschend, da der zweite Zivilsenat noch mit Urteil vom 18.04.2005 (NJW 2005, Seite  2546) seine Rechtsprechung, insbesondere die Leitentscheidung in NJW 2001, Seite 1280, bekräftigt hatte, wonach auch die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung der Haftung des § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz unterliegen.

Anzumerken ist noch, dass diese Grundsätze nicht nur für die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherungen gelten, sondern auch für die unter §§ 34, 69 a Abgabenordnung geregelten Steuern.

VII. Kenntnis der Insolvenzreife oder schuldhafte Nichtkenntnis

Es bleibt noch zu erwähnen, dass der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 14.05.2007 in NJW 2007, Seite 2119, weiterhin ausgeführt hat, dass eine Haftung des GmbH-Geschäftsführers nur dann in Betracht kommt, wenn er schuldhaft gehandelt habe. Für die Haftung des Vertretungsorgans reiche die Erkennbarkeit der Insolvenzreife aus.

Dass der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung, sowie in einer vorhergehenden Entscheidung in NJW 2005, Seite 3064, das Verschulden des Geschäftsführers im Sinne der Erkennbarkeit der Insolvenz als besondere Voraussetzung für die Haftung nach § 64 Abs. 2  GmbH-Gesetz vorausgesetzt hat, war nicht zwingend.

§ 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz setzt vom Wortlaut ein solches Verschulden nicht voraus.

Der Bundesgerichtshof hat ferner in der Entscheidung  vom 08.01.2001 in ZIP 2001, Seite 239, ausgesprochen, dass § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz keine Schadensersatznorm sei, sondern ein Ersatzanspruch eigener Art.

Nur bei einem Schadensersatzanspruch ist es eigentlich zwingend, dass ein besonderes Verschulden vorausgesetzt wird.

Nimmt man, wie der Bundesgerichtshof einen Ersatzanspruch eigener Art an, ist es nicht zwingend, dass zur Erfüllung des Tatbestandes ein Verschulden vorausgesetzt wird.

In der Entscheidung vom 01.08.2001 hatte der Bundesgerichtshof auch ein Verschulden noch alleine dahingehend definiert, dass ein Verschulden nicht vorliegt, wenn die Verhaltenspflichten eines ordentlichen Geschäftsmannes eingehalten worden waren.

Von Erkennbarkeit der Insolvenzreife war in dieser Entscheidung mit keinem Wort die Rede.

Im Ergebnis ist aber wohl die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, dass ein Verschulden im Sinne einer Erkennbarkeit der Insolvenzreife erforderlich ist, wohl richtig so.

Eine Haftung zu begründen, ohne dass der Geschäftsführer von der Insolvenzreife weiß oder schuldhaft nicht weiß, geht wohl zu weit.

VIII. Beweislast

Hinzuweisen ist aber noch darauf, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, NJW 2007, Seite 2119, BGH, NJW 2001, Seite 1280, BGH, NJW 2005, Seite 3064) die Beweislast dafür, dass der Geschäftsführer nur die Zahlungen geleistet hat, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar waren und dass ihm bezüglich der Nichtkenntnis der Insolvenzreife kein Verschulden trifft, der Geschäftsführer trägt.

Der Geschäftsführer muss sich also entlasten. Ein Verschulden wird vermutet.

In der zuletzt genannten Entscheidung in NJW 2007, Seite 2119, konnte sich der Geschäftsführer dahingehend entlasten, dass er einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer den Auftrag erteilt hatte, den Jahresabschluss zum 31.12.2000 daraufhin zu überprüfen, ob die Gesellschaft nicht nur rechnerisch überschuldet, sondern insolvenzreif war und ein Insolvenzantrag gestellt werden musste.

Anzumerken ist noch, dass die Anforderungen – gerade was die Erkennbarkeit der Insolvenzreife – angeht, sehr scharf sind. Von einem organschaftlichen Vertreter einer GmbH wird grundsätzlich erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets vergewissert. Er handelt daher grundsätzlich fahrlässig und schuldhaft, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die für die Insolvenzantragspflicht erforderlichen Kenntnisse verschafft.

X. Verletzung der Insolvenzantragspflicht als weitre Voraussetzung?

Wenn und soweit bisher die Entscheidung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich Zustimmung verdient, so muss jedoch kritisiert werden, dass der Bundesgerichteshof – bewusst oder unbewusst – im Rahmen der Definition des Verschuldens bei der Insolvenzreife dargelegt hat, dass die Haftung des Vorstandes eine schuldhafte Verletzung der Insolvenzantragspflicht voraussetze.

Aus den weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofes geht dann zwar hervor, dass der Bundesgerichtshof  darunter nur versteht, dass ein Verschulden dann vorliegt, wenn der Geschäftsführer um die Insolvenzreife weiß oder sich schuldhaft nicht die nötigen Kenntnisse verschafft hat.

Problematisch könnten die Ausführungen jedoch deshalb sein, weil nach § 64 Abs. 1 GmbH-Gesetz die Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen haben.

Dies gilt nach § 64 Abs. 1 Satz 2 GmbH-Gesetz sinngemäß, wenn sich eine Überschuldung der Gesellschaft ergibt.

Im Allgemeinen wird dem Geschäftsführer hier eine Überlegungsfrist von drei Wochen eingeräumt.

Nun könnte die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu dem Fehlschluss verleiten, dass Zahlungen, die noch innerhalb der drei Wochenfrist liegen, nicht nach § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz in die Haftung führen.

Zu diesem Schluss könnte man gelangen, wenn der Bundesgerichtshof neben der Kenntnis der Insolvenzreife oder der schuldhaften Nichtkenntnis tatsächlich  noch ein weiteres Tatbestandsmerkmal der „Verletzung der Insolvenzantragspflicht“ aufgestellt hätte.

Dies widerspräche jedoch der bisher absolut herrschenden Meinung (vgl. Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Auflage, § 64, RdNr. 80 mit weiteren Nachweisen), die auch der Bundesgerichtshof bisher nie in Frage gestellt hatte.

Zu verstehen ist dies dahingehend, dass der Geschäftsführer zwar eine Überlegungsfrist für die Insolvenzantragsstellung von drei Wochen hat, er aber dann, wenn bereits Insolvenzreife vorliegt und er trotz dieser Insolvenzreife Zahlungen leistet, diese Zahlungen auch dann zu erstatten hat, wenn diese in die drei Wochen Überlegungsfrist fallen.

Festzuhalten ist also, dass die Geschäftsführer auch die Zahlungen zu erstatten hat, die in die Überlegungsfrist fallen.

Abgesehen davon dient die Frist auch nur dazu, einen gewissen Zeitraum für Sanierungsbemühungen zu gewähren.

Steht bereits vor Ablauf der Dreiwochenfrist fest, dass Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt und Sanierungsbemühungen aussichtslos sind, muss bereits vor Ablauf der Dreiwochenfrist der Insolvenzantrag gestellt werden.

Jörg Fröhling

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht